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RGDr – Eine Wahlempfehlung

Veröffentlicht: 10. Oktober 2010 in Wahl(en)

Nur mehr wenige Stunden trennen die Wienerinnen und Wiener von der Öffnung der Wahllokale. Bei vielen hat der zurückliegende Wahlkampf, allerlei Grauslich- und Unnötigkeiten inklusive, Verwirrung, Enttäuschung und sogar ein bisschen Verzweiflung hinterlassen. Allumfassende Themenlosigkeit, interne Parteiquerelen, rechte Hetze, späte Wahlzuckerl – alles wie immer? Vielleicht hat man in der Slogan-Fabrik der FPÖ noch ein bisschen tiefer gegriffen als sonst, bei den Roten noch ein bisschen schwerfälliger reagiert, die Grünen haben noch ein bisschen mehr gestritten und die ÖVP hat sich noch ein bisserl mehr angebiedert, aber im Grunde war es doch genau wie erwartet. Die logische Konsequenz, von noxvobiscum auf Twitter zusammengefasst: „Frei nach Faust: Da steh ich nun, ich armer Wähler-Tor! Und bin so klug als wie zuvor.“

Es geht mir ähnlich, obwohl ich meine Wahl bereits vor eine Woche getroffen und mittels Briefwahlkarte besiegelt habe: Es war mit Sicherheit keine leichte Entscheidung. Allen Unentschlossenen seien daher folgende Überlegungen ans Herz gelegt. Dabei geht es bewusst nicht um Unterstützung für eine bestimmte Partei, wohl aber für eine grundsätzliche Richtung. Eine Richtung, von der ich überzeugt bin, dass sie im Vergleich zu Law&Order-Politik ohne Menschlichkeit und rechter Hetze, die gesamtgesellschaftlich gesehen, belebenste ist. Eine gute Richtung.

Ohne weiter auf die ungustiösen Seiten dieses Wahlkampfes einzugehen, gebe ich hiermit meine Wahlempfehlung ab, die da lautet: ROT – GRÜN – DUNKELROT. Oder anders gesagt: SPÖ – Die Grünen – KPÖ.

SPÖ oder Das ROTE Wien

Gerüchten zufolge geht die Zitation der „lebenswertesten Stadt der Welt“ auf eine Umfrage unter Personen in Managerpositionen zurück. Nichtsdestotrotz kann sich kaum jemand, der einmal das Wienerische in sich aufgesogen hat, wieder von der Stadt trennen (bis auf wenige Kilometer über die Stadtgrenze hinaus). Für einen Gutteil daran, was Wien so besonders und lebenswert macht, trägt durchaus die alleinregierende SPÖ die Verantwortung, auch wenn der Vorwurf des Stillstands und der Freunderlwirtschaft nicht von der Hand zu weisen ist. Michael Häupl hat es doch sehr bequem auf seinem Bürgermeister-Sessel und möchte diesen natürlich keinesfalls räumen müssen – jetzt, da er sich über die Jahre so schön eingerichtet hat. Eines ist klar: Es ist Zeit für ein bisschen frischen Wind. Es braucht neue Ideen und Konzepte zu den Bereichen Bildung, Integration, Umwelt, schlichtweg überall. Und der Verdacht liegt nahe, dass diesbezüglich nicht mit dem Michl zu rechnen ist. Trotzdem: Der Glaube an die Sozialdemokratie ist per se nichts Schlechtes, es bräuchte nur jemanden, der sich auf ihre Werte zurückbesinnt.

Wer also nicht anders kann, gibt seine Stimme der SPÖ – allerdings ohne Vorzugsstimme für Häupl.

GRÜN oder Eine Stimme für Nachhaltigkeit

Nach den medial ausgeschlachteten Zwistigkeiten, die in zwei Abspaltungen resultierten, war von den Grünen oft nur als „Chaos-Truppe“ die Rede. Vassilakou scheitere an ihrer Basis, so hieß es. Dabei fällt oftmals das unglaubliche Engagement aus dem Blickfeld, dass diese in den letzten Wochen mit Beisltouren, Rent-a-Green-Aktionen und dem 3-Tage-Wach-Container an den Tag gelegt haben. Kaum eine Partei hat so viele Meter hingelegt, um zu beweisen, dass ihnen dieses Wien eine Herzensangelegenheit ist. Und sie finden Antworten. Antworten auf Integrationsprobleme, soziale Missstände und Bildungsfragen, manchmal etwas utopisch, aber selten unkreativ. Manchmal unpopulär wie bei der City-Maut, aber stets darauf bedacht, möglichst nachhaltig zu arbeiten. Ein bisschen Vertrauen kann eigentlich nicht schaden, oder?

Wem’s liegt, der wähle die Grünen – mit Vorzugsstimme für Vassilakou.

KPÖ oder Ein dunkelroter Anstrich

Schon klar. Ihre Chancen stehen selbst mit Rückenwind aus der Steiermark denkbar schlecht, die Wahlberichterstattung behandelt sie wie das volksweisheitliche Stiefkind und eigentlich traut man diesen Kommunisten nicht so ganz – ein verrückter Haufen linkslinker Spinner. Zudem: Vom Wiener Spitzenkandidaten Didi Zach weiß man eigentlich wenig bis gar nichts. Kommt ja nie vor in der ZIB. Bei genauerer Recherche allerdings, stellt man fest, dass er ziemlich vernünftig wirkt. Wenig kommunistisch-romantisch, mehr praktisch-diskussionsbereit. Und gerade vor dem Hintergrund der Finanzkrise, die, weil doch nicht ganz sooooo schlimm, immer mehr in Vergessenheit gerät (die „unbedingt notwendigen“ Regulierungen des Finanzmarktes übrigens auch) ist die KPÖ ein relevanter Faktor, denn sie weiß, was die übrigen Parteien nur allzu gern unter den Tisch kehren: Der Kapitalismus – so wie er ist – hat Schwächen. Warum ihr nicht ein bisschen zuhören auf ihrem Spezialgebiet? Zudem zeichnet KPÖ-Mandatare, wenn auch in geringer Anzahl vorhanden, vor allem eines vor all ihren politischen Kollegen aus: Die gehaltstechnische Selbstbeschränkung auf Facharbeiterniveau. Der Rest wird für soziale Zwecke gespendet. Natürlich ist eine Stimme für die KPÖ realpolitisch gesehen, höchstwahrscheinlich ein Streich in die Luft. Möglicherweise sogar verschwendet. Aber ist es Verschwendung, wenn einem eigentlich keine andere Wahl bleibt?

Wer sích traut, macht ein Kreuz bei der KPÖ – und gibt seine Vorzugsstimme Didi Zach.

WahlTV: Stillstand beim Rotfunk

Veröffentlicht: 9. Oktober 2010 in Medien, Wahl(en)
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Wer bewusst und engagiert Wahlberichterstattung verfolgt, muss zu Masochismus neigen – eine Tatsache, die uns auch der „Kampf um Wien“ 2010 medial vor Augen geführt hat. Sei es die sedierende Elefantenrunde des ORF, die Schaukampfinszenierung auf ATV oder das vergleichsweise fast (sic!) angenehme Format von Puls 4, dabei zu sein, kostete oft Nerven und führte vielfach zu dem, was man seit dem fulminanten Erfolg von „Assi-TV“ unter dem Begriff fremdschämen versteht.

Dabei machte ausgerechnet PULS4, eine Tochter der ProSiebenSat.1 Media EG, mit „Wahl 2010 – Der Kampf um Wien“ die beste Figur. Obwohl man sich auch hier konzeptuell auf die von der FPÖ inszenierte, aber real inexistente Schlacht um Wien einließ und die Diskussion einem Boxkampf nachempfunden in Runden einteilte, an deren Ende jeweils ein Sieger durch eine vierköpfige Journalisten-Jury gewählt wurde, konnte der kleinste österreichische Sender punkten. Während die Redaktion hinter Moderatorin Manuela Raidl auf Information und Sachlichkeit setzte, nannte der ihr zur Seite gestellte Kabarettist Florian Scheuba die Dinge beim Namen und urteilte über den Schwiegersohn der Nation Karl-Heinz Grasser: „Es gibt Leute, die den Hals nicht voll genug kriegen“. Auch thematisch bot PULS4 schon in den ersten zehn Minuten mehr als aus dem ATV-Gackerlsackerl zu holen war: Wehrpflicht, Homosexualität, Integration. Allerdings arbeitete man nicht pannenfrei: So ließ das zu nah am Headset positionierte Mikrofon der Moderatorin durchblicken, dass in erster Linie die Redaktion und nicht sie selbst für Kommentare und Einwürfe verantwortlich war. In einer Zuspielung erhielt die fragende Dame eine „Heinz-Christian Strache“-Bauchbinde, während man selbigen beim kostenpflichtigen Telefonvoting als „Hans-Christian Strache“ aufführte. Die Schaltung dieser vierminütigen Abstimmung durch Anrufe bei Mehrwertnummern holte das Publikum abschließend wieder in die Welt des Privatfernsehens (und seiner Finanzierung) zurück, wie auch die Jury, die einen Vertreter einer „echten“ Qualitätszeitung vermissen ließ. Alles Boulevard? Nein. Und der Live-Stream funktionierte.

Anders bei ATVs „Meine Wahl – Match um Wien“: Die offensive Werbe-Strategie um das Event in der Stadthalle führte nicht nur zum Offline-Quotenerfolg, sondern auch zur Überlastung des Live-Streams. In einem Szenario, dass an Gladiatorenkämpfe im Kolosseum erinnerte, versuchten sich das Moderatoren-Team Sylvia Saringer und Meinrad Knapp und die Spitzenkandidaten Michael Häupl, Christine Marek, Maria Vassilakou und Heinz-Christian Strache gegen die Länderspielatmosphäre durchzusetzen, die die angekarten Partei-Fans verursachten und wirkten dabei ziemlich zahnlos. ATV-Redakteur Martin Thür sieht das naturgemäß anders: Die Sendung bereits in seinem Blogeintrag kommentiert, aber die Freischaltung vermissend, erlaube ich mir, die zeitnähere Kritik hier noch einmal anzuführen:

„Bei soviel Selbstbeweihräucherung kann ich mich nur wundern. Nicht nur, dass (die Sendung) tatsächlich nichts von einer informativen Diskussion, sondern eher Eigenschaften von allen anderen als Kritik angeführten Dingen hatte: Schaukampf, Kasperltheater, Hexenkessel.

Die Lobhudelei bezüglich Recherche lässt sich ohne zu suchen gleich an einem einzigen Beispiel außer Kraft setzen: Der zitierte Hubert Sickinger twitterte während der Sendung “Nett, bei #atv #meinewahl zitiert zu werden, aber das war Fehlinterpretation.” und “Und die Untersuchung war eine Umfrage unter führenden BezirkspolitikerInnen, keine Repräsentativumfrage in der Bevölkerung #atv #meinewahl” und “Ui, meine Untersuchung war aber 1. auf die Bezirkspolitik bezogen und ist 2. fünf Jahre alt 🙂 http://is.gd/fINvd #atv #meinewahl”. Das kostete mich bspw. nicht ein bisschen Recherche.

Natürlich ist zumindest begrüßenswert, dass ATV Politik, soweit es einem Privatsender eben möglich ist, Ernst nimmt. Auch den Mut ein neues Format zu starten, kann man bewundern. Dass dieses Set-Up jedoch zu nichts anderem führen kann als Ländermatch-Atmosphäre, insbesondere, wenn man Fanblöcke ankarrt, ist keineswegs nur ein Resultat. Das ist eine Erwartung.

“Noch nie in Österreich hat jemand ein derartig aufweniges Studio (die drei teuersten Projektoren des Landes, 100 Tonnen Scheinwerfer, 24 Meter Leinwand, bis zu sieben Meter hohe Holzsäulen) in nur 14 Stunden gebaut, danach geprobt, gesendet und wieder abgebaut.”

Was das betrifft: Nett, nur halt nicht zielführend (und werbefinanziert 😉 ). Ich bitte, sich als Positivbeispiel folgende Debatte anzusehen, die weder die teuersten Scheinwerfer noch sonstige Technik bei der Abstimmung (Wahlurne & Zetterl) brauchte und trotzdem soviel mehr Inhalt zuließ:

http://www.youtube.com/watch?v=DmFYpuYh6w0&feature=related

Eine Erweiterung durch Social Media wäre natürlich obligatorisch. Dennoch kann sich ATV, meiner Meinung nach, in Sachen Stil und Konzept da einiges abschaun.“

Dass man in einer Fragerunde zum Thema Bildung sogar vergaß, Straches Antwort einzuholen, war weniger unprofessionell – Fehler passieren – als Meinrad Knapps lapidarer Kommentar dazu: Sonst melde sich der FPÖ-Kandidat doch auch besonders laut zu Wort.

Der ORF löste seine Verpflichtung in Sachen Bildungsauftrag in klassischer Manier: Um 11.05, die Ausstrahlung auf das Bundesland Wien beschränkt, diskutierte man bei Chef-Redakteur Paul Tesarek besonnen über Koalition, Integration und Bildung. Ganz öffentlich-rechtlich kam man ohne das dem Privatfernsehen eigentümliche Drama-Moment, aber auch Innovationen aus, was vor allem eines hervorrief: Gähnende Langeweile. Während die Privaten dem Rotfunk langsam den Rang ablaufen, bleibt dieser auch 2010 dem Stillstand treu und könnte möglicherweise in Sachen Qualitätsmonopol Boden verlieren. Bis zur Nationalratswahl 2012 sollte man die Ideenkiste also dringend auf den Kopf stellen.